Städtereise nach Dublin

Der Fluss Liffey vor der Skyline Dublins – am besten erkundet man das Gewässer mit einem Kajak.Foto: Fáiltre Ireland  Foto: Fáiltre Ireland
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Gemächlich gleitet unser zitronengelbes Kajak auf der dunklen ruhigen Liffey. Den Touristen bietet sich bei ihrer ersten Passage durch das Herz von Dublin eine...

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. Gemächlich gleitet unser zitronengelbes Kajak auf der dunklen ruhigen Liffey. Den Touristen bietet sich bei ihrer ersten Passage durch das Herz von Dublin eine außergewöhnliche Perspektive. Die Liffey trennt den nördlichen Teil der irischen Hauptstadt, der als ärmer gilt, vom betuchteren Süden. Oben, von der Sean O’Casey-Brücke, machen ein paar Zuschauer launige Scherze über den bunt zusammengewürfelten Kajak-Konvoi. Sie haben offensichtlich schon das eine oder andere Happy-Hour-Guinness intus. Vorkenntnisse im Kajakfahren hat fast keiner, was in dem eher stillen Gewässer aber kein Problem ist. Schwimmwesten werden bei der Anmietung gestellt, und Profi Jonathan hat seine Schützlinge vom „Rettungsboot“ aus stets im Blick.

Der Fluss Liffey vor der Skyline Dublins – am besten erkundet man das Gewässer mit einem Kajak.Foto: Fáiltre Ireland  Foto: Fáiltre Ireland
Im Kultviertel Temple Bar reiht sich ein Pub ein den anderen.Foto: Heide Tittel  Foto: Heide Tittel

„The bright and the dark sides of Dublin“, also die hellen wie die dunklen Seiten der Stadt zu erkunden, lautet das Motto des verlängerten Wochenend-Trips, und schneller als erwartet sind wir gefangen zwischen diesen beiden Polen. Vorbei am Custom House, einem imposanten, neoklassizistischen Monumentalbau von 114 Metern Länge, der Ende des 18. Jahrhunderts als Zollamt diente, taucht weiter flussaufwärts die O’Connell Bridge auf – ein Kuriosum in Europa, weil die Straßenbrücke ebenso breit wie lang ist. Mit der Zeit werden Jeans und Turnschuhe der ungeübten Paddler feucht. Noch ein gutes Stück vor der berühmten Ha’penny Bridge, für deren Überquerung Fußgänger einst einen halben Penny berappen mussten, und die das Vergnügungsviertel Temple Bar mit den Einkaufsmeilen rund um Henry Street verbindet, heißt es wenden.

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Zurück am Anlegesteg werden die Kajaks aus dem Wasser gezogen. Direkt neben der Jeanie Johnston, dem Museumsschiff, das für eines der dunkelsten Kapitel in der irischen Geschichte steht. Reiseleiterin Ellen Redmond ist etwas erstaunt, wie wenig ihre ausländischen Gäste über die große Hungerkatastrophe wissen, die ihr Land von 1845 bis 1850 heimsuchte und rund einer Million Menschen das Leben kostete. Ursache war die sogenannte Kartoffelfäule, die sich von Nordamerika nach Europa ausgebreitet hatte und das damalige Hauptnahrungsmittel der Iren vernichtete. Fast zwei Millionen Iren flohen ins Ausland, viele davon auf Segelschiffen wie der Jeanie Johnston. Sargboote nannte man sie wegen der hohen Sterblichkeitsrate. Viele der ausgemergelten Passagiere überstanden die Strapazen der wochenlangen Seereise nicht. Die Jeanie ist deshalb legendär, weil alle Reisenden der insgesamt 16 Nordamerika-Passagen die neue Welt lebend erreichten – ein Verdienst des umsichtigen Kapitäns und eines guten Arztes an Bord. Im Bauch des originalgetreu nachgebauten Dreimasters geben lebensgroße Puppen einen Eindruck davon, in welcher Enge die Menschen damals ausharren mussten.

Genug von diesem finsteren Exkurs in die Historie, tauchen wir lieber ein ins bunte Leben des Kulturviertels Temple Bar. Das verdankt seinen Namen vermutlich Sir William Temple, der 1609 Dekan am berühmten Dubliner Trinity College war und hier ein Haus bewohnte. Ein Pub reiht sich an den nächsten, fast überall wird Live-Musik gespielt, und wer kontaktfreudig ist, braucht nicht lange zu warten, um zu einem spontanen Tänzchen aufgefordert zu werden. Da unsere Gruppe im luxuriösen Morrison Hotel direkt am Ufer der Liffey untergebracht ist, brauchen wir nur die Millenium-Brücke zu überqueren und sind mitten in Temple-Bar – der Touristenmagnet Dublins.

Wer jedoch den ungewöhnlichsten Pub der Stadt besuchen möchte, findet ihn im nördlichen Zentrum, wenige Steinwürfe vom Morrison Hotel entfernt. „The Church“ ist, wie der Name sagt, eine Kirche, die im frühen 18. Jahrhundert als eine der ersten irischen Kirchen mit einer Galerie ausgestattet und später entweiht wurde. Es lohnt, den Blick im einstigen Gotteshaus schweifen zu lassen, sich dabei aus der reichhaltigen Restaurantkarte zum Beispiel einen vorzüglichen Burger zu genehmigen.

„Echte“ Dubliner nehmen ihr Guinness oder ihren Whisky dem Vernehmen nach eher im Brazen Head ein. Anno 1198 erbaut, soll er der älteste Pub in Irland sein. Er liegt weiter westlich, unweit der Christ Church Cathedral. Wer’s indes richtig urig mag, dem sei ein Bustrip zum „Gravediggers“ Pub empfohlen, der unmittelbar an den Glasnevin Friedhof im Norden der Stadt grenzt. Das etwas abgelebte Mobiliar im zweigeteilten Schankraum bezeugt, dass hier nicht nur Generationen von Totengräbern ihre trockenen Kehlen spülten.

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So verlockend die Pubs auch sind, Dublin hat kulturell weitaus mehr zu bieten. Um in kurzer Zeit einen ersten Überblick über die Hauptsehenswürdigkeiten der 500 000 Einwohner zählenden Stadt zu bekommen, empfiehlt sich eine Stadtführung auf dem „Lazy Bike“. Die E-Bike-Vermietung liegt in der Essex Street West und somit praktischerweise in Temple Bar. Hugh Flood, Gästeführer und Gründer des noch jungen Unternehmens, gibt eine kurze Einweisung. Signalwesten und Helme sind obligatorisch – und schon düsen wir ab, erreichen im Nu Dublin Castle, St. Patricks Cathedral oder Marsh’s Library, die mit ihren wunderschönen Regalen aus dunklem Eichenholz seit 300 Jahren nicht verändert wurde und ein Juwel für Fans alter Bücher ist. Ein Ort, der Geschichte atmet, wo Schriftsteller wie Jonathan Swift oder Bram Stoker viel Zeit verbracht haben, um Mythen und Legenden zu erforschen. Apropos Schriftsteller – wer Muße hat, sollte das James Joyce Center ebenso wie das Dublin Writers-Museum besuchen. Mit einem außergewöhnlichen Exponat wartet die benachbarte Hugh Lane Gallery auf: Das chaotische Atelier von Francis Bacon kann hier durch Glasscheiben betrachtet werden. Mithilfe von Archäologen wurde es 1998 von London nach Dublin transferiert. Über 7 000 Malerutensilien, herausgerissene Zeitungsseiten, Prospekte, Hunderte von Büchern, Fotos, ja, sogar der Staub sei digital erfasst und wieder eins zu eins in der vorgefundenen Position arrangiert worden. An den Wänden prangen Zitate des bedeutendsten gegenständlichen Malers des 20. Jahrhunderts wie: „Ich fühle mich zu Hause in diesem Chaos, weil das Chaos Bilder in mir hervorruft.“ In allzu ordentlicher Umgebung sei es ihm kaum möglich gewesen, zu arbeiten.

Anders als bei Bacons Studio hat die Stadt voller Gegensätze die Riesenchance vertan, ein Kulturerbe des irischen Volkes zu bewahren. Am Wood Quay wurde nämlich eine der größten Wikinger Siedlungen außerhalb Skandinaviens entdeckt – unglaublich gut erhalten. Doch alle Kämpfe in den 1970er- und 1980er-Jahren um den Erhalt dieser einzigartigen Ausgrabungsstätte nutzten nichts. Heute steht dort ein Riesenbetonklotz mit Büros. Im Bordstein eingelassene Platten mit metallenen Abbildungen von Wikinger-Fundstücken lassen die Besucher quasi über die städtebauliche Sünde stolpern. Noch so eine dunkle Seite.

Zum Abschluss begeben wir uns in gleißendes Licht und zwar das der Schaufenster. Dublin bietet eine schier endlose Zahl an Shops für jeden Geschmack und Geldbeutel. Gut essen und exklusiv einkaufen kann man zum Beispiel im Powerscourt Townhouse Shopping Centre, rund um die George’s Street Arcade oder aber im günstigeren Norden in der Henry Street. Dublin, zu Deutsch „schwarzer Teich“, die Stadt an der dunklen Liffey mit ihren vielen hellen Gesichtern, ist mehr als einen Kurztrip wert.