Dort arbeitet sie am Empfang, wenn sie sich nicht gerade selbst an den Geräten quält. Gleich geht es für die Wirtschaftsstudentin in die Bibliothek: Sie möchte sich für eine Hausarbeit einlesen. Thematisch setzt sich die Wahl- Hamburgerin mit einer Entscheidungsmethode im Managementbereich auseinander. Schnelle Entscheidungen muss die 26-Jährige auch beim Kanupolo treffen. „Innerhalb von Millisekunden muss ich entscheiden, ob ich mich mit meinem drei Meter langen Boot auf dem Gewässer nach vorne oder zur Seite bewege. Dabei habe ich kaum Möglichkeiten zur Korrektur.“
Die Hessin hat ein gutes Händchen für die richtige Entscheidung. Die amtierende Welt- und Europameisterin ist nicht nur als Spielerin erfolgreich. Sie trainiert nebenbei die Deutsche U21-Nationalmannschaft der Damen. Im Sommer wurde sie mit ihren Mädels in Essen Europameisterin. „Ich bin deutlich aufgeregter, wenn ich als Trainerin die U21 betreue, als wenn ich selbst spiele. Die jungen Spielerinnen gucken rüber an den Spielfeldrand und reagieren sehr empfindlich auf die Stimmung, die ich verbreite. Ich merke es direkt an ihrer Spielweise.“ In ihrem Trainerjob möchte Gilles vor allem Vorbild sein. „Ich erkläre den Mädels, wenn sie viel Arbeit reinstecken und mit Ernsthaftigkeit an den Sport herangehen, dass sie genauso erfolgreich sein können, wie die Männer.“
Nach wenigen Minuten ist Eines klar: Gilles in Hanau geboren, ist vom Ehrgeiz getrieben. Wie der bekannteste Sohn ihrer Heimatstadt: Rudi Völler. Seit der Jugend trägt sie die Nummer 10 auf dem Trikot. Eine Hommage an ihren Hanauer Jugendtrainer Julian Parsons. „Er trug auch die Zehn und hat mir die Grundlagen des Kanupolos beigebracht.“ „Außerdem lässt mich die Nummer 10 auf dem Rücken deutlich breiter wirken“, scherzt Gilles.
Als Forecheckerin koordiniert sie das Spiel ihrer Mannschaft, leitet Angriffsaktionen ein und strahlt mit ihrer starken rechten Wurfhand eigene Torgefahr aus. Gilles' Geheimwaffe- ihre Explosivität: „Aus dem Stand in eine schnelle Bewegung übergehen.“ Aber selbst in diesem Bereich sieht die Perfektionistin noch Verbesserungsbedarf: „Das kostet unheimlich viel Kraft, aber da kann ich auf jeden Fall noch mehr aus mir rausholen.“ Ihre größte Schwäche hingegen liege im Defensivspiel.
Gilles ist das Gehirn und das Herz ihres Teams. Trotzdem sei sie eine absolute Teamplayerin und ein geselliger Mensch. „Freunde stellen mich immer als "Weltmeisterin" vor. Die Leute fragen mich dann erst mal: In welcher Sportart?“ Seit ihrem zehnten Lebensjahr ist sie Kanupolo-Spielerin. Ihren Sport beschreibt sie mit den Worten „vielseitig“ und „dynamisch“. Besonders die Kanupolo-Community hat es ihr angetan: „Wir sind alle miteinander optimal vernetzt. Ich habe in London und Düsseldorf gelebt, mich aber nie allein gefühlt, weil ich immer jemanden vor Ort kennen gelernt habe, der Kanupolo spielt.“ Zwischenzeitlich zog es sie für eine Saison nach Italien, zum CC Catania. „Die Sonne und das gute Essen waren toll, aber spielerisch konnte ich mich dort nicht weiterentwickeln.“ Die Deutsche Bundesliga sei letztlich die stärkste Liga der Welt. Obwohl sie in Hamburg lebt, geht sie für ihren Heimatclub SKG Hanau auf Torejagd. Beim Erstligaaufsteiger ACC Hamburg darf sie mittrainieren und hält sich fit. Das sei im Kanupolo kein Problem.
Neben dem Gewinn der Champions League mit der SKG Hanau hat Gilles noch einen weiteren Traum: Die Aufnahme des Kanupolos in das Programm der Olympischen Sommerspiele 2020 in Tokio. Im Alter von 31 Jahren sei ihre Teilnahme dann eher unwahrscheinlich. „Das wäre ein persönliches Versagen als Trainerin, wenn mich bis dahin nicht eine Spielerin meiner U21 aus dem Kader kicken würde.“
Während des Videochats nippt sie entspannt an einer Tasse Tee. Und lacht sehr viel. Besonders über die „Goldene Kanone“, die sie als beste Torjägerin der vergangenen Bundesligasaison überreicht bekam. Gilles gefällt die optische Form der Auszeichnung nicht. Das Silberne Lorbeerblatt, mit dem die Weltmeistermannschaft im vergangenen Jahr von Bundespräsident Gauck ausgezeichnet wurde, spricht sie schon eher an. Reichtum erlangt man als Kanupolo-Spielerin allerdings nicht: „Wenn man Glück hat, kommt man bei Plus-Minus-Null raus.“ Nach fast zwei Stunden endet unser Videochat. Mit blau-schwarzer Basecap und Hornbrille zieht es Gilles in die Bibliothek. Das nächste ehrgeizige Ziel vor Augen: den Masterabschluss ihres Wirtschaftsstudiums.
Von Daniel Dresen
Weitere Infos auf: www.facebook.com/kanupolo.deutschland