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Liegeplatz gesucht Die Odyssee des Herrn Klisch

1994 kaufte Andreas Klisch die "Mariart". Der ehemalige Frachter sollte ein Platz für Kultur und Begegnung werden, doch bis heute kämpft Klisch gegen zahlreiche Widerstände. Die Geschichte eines Mannes, der seinen Lebenstraum nicht aufgeben will.
29.03.2015, 00:00 Uhr
Lesedauer: 4 Min
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Die Odyssee des Herrn Klisch
Von Anke Landwehr

Klisch weint. An den Nachbartischen im Hotel „Zur Ochtumbrücke“ verputzen ältere Herrschaften vergnügt Stinte mit Bratkartoffeln, und Klisch hat Tränen in den Augen. Sie gelten der Mariart. Wochenlang hat der 65-Jährige mit einem Helfer am Motor seines geliebten Schiffes herumgeschraubt, dann der große Moment: „Endlich wieder dieses Klopfen hören . . . Das hat mich so berührt!“ Einen Tag später wird ihm verboten, mit dem 106 Jahre alten Leichter von der Ochtum über die Weser in den Bremer Industriehafen zu fahren. Dort hat er einen Liegeplatz gemietet – für’s Erste.

Andreas Klisch ist anders. Einer, der sich im Gestrüpp geschriebener und ungeschriebener Regeln seinen eigenen Weg bahnt. Einmal – er war noch Kunstlehrer – wurde er aufgefordert, auch mal Fünfen und Sechsen zu geben. Stattdessen stellte er das Zensurensystem infrage und verabschiedete sich aus dem Schuldienst. Später, so ist aus beiläufigen Bemerkungen zu erfahren, war er Tauch- und Reitlehrer, hatte mal eine Galerie und experimentierte auf einem Bauernhof bei Delmenhorst mit einem Künstler-Wohnprojekt.

Klisch eckt an. Seitdem er die Mariart, ein Plattbodenschiff, 1994 in Holland kaufte, hat er Ärger mit Behörden, Verbänden, Vereinen, Grundstückseigentümern. Wo immer er mit seiner rund 30 Meter langen Tjalk ankerte, musste er irgendwann das Feld räumen. Doch er lässt sich nicht entmutigen: Die Mariart soll eine Stätte der Kultur werden. Theater, Musik, Kunst – was sich so ergibt. Ein Museum soll sie auch sein; an ihrem Beispiel will Klisch die Geschichte der Stedinger erzählen, die ihn so sehr fasziniert und aus der er gelernt hat, dass man der Obrigkeit nicht trauen darf.

Klischs Leben beginnt vor 65 Jahren in einem Ostberliner Plattenbau. Er ist drei, als sein Vater mit der Familie in den Westen der Stadt flüchtet. „Vor der Stasi, weil er als Lehrer nicht linientreu unterrichtete. Wir sind bei Nacht und Nebel weg.“ Die Augen werden feucht. Zehn Jahre später lassen sich die Klischs in Wilhelmshaven nieder. Der junge Andreas schließt sich einem Reitverein an. „Da war ein verwildertes Gelände, wo wir geritten sind. Ohne Sattel. Und fielen wir runter, sind wir wieder aufgestiegen. Das war eine jugendabenteuerliche Zeit. So was fehlt heute in dieser sterilen Welt mit ihren Computern und Shopping-Centern.“

„Da sah ich sie, die Ochtum“

Mit 18 Abitur in Delmenhorst, danach Kunststudium in Oldenburg. In dieser Zeit passiert es. Er hat eine Freundin in Blumenthal. Um sie zu besuchen, fährt er mit seinem Messerschmitt-Kabinenroller nach Lemwerder zur Fähre. „Beim Gut Weyhausen mit Schwung um die Kurve und – da sah ich sie, die Ochtum.“ Er ist hin und weg von der einzigartigen Schönheit dieser Landschaft. Auf seinen Streifzügen entdeckt er in Strom zwei Ausbuchtungen des Flüsschens, in einer liegt ein Schiff im Schlick. Ein romantischer Anblick. So etwas will er eines Tages auch haben.

Einstweilen befasst er sich mit den Stedingern. „Das waren holländische, des Deichbaus kundige Friesen. Im Mittelalter wurden sie vom Bremer Erzbischof geholt, um Bruch- und Moorlandschaft in fruchtbares Land zu verwandeln“, erzählt Klisch. Damit hätten sie ein „gewaltiges Menschenwerk“ vollbracht. Wie er vor dieser Leistung niederkniet, so erbost ist Klisch über den Kreuzzug gegen die Stedinger. Weil sie sich militärisch gegen Begehrlichkeiten der Feudalherren verteidigten, wurden die Bauern 1231 allesamt zu Ketzern erklärt und drei Jahre später bei Altenesch geschlagen.

Klisch fühlt sich den Stedingern seelenverwandt. Wenn er davon spricht, dass er mit „Tricksereien und Intrigen“ von der Verwirklichung seines Lebenstraums abgehalten wird. Dass ihm kaum jemand richtig zuhört, wenn er seine Pläne darlegt. „Die Mariart ist ein schwimmendes Baudenkmal. Sie ist von der Art, wie sie von den Stedingern eingesetzt wurde, um den Sand für die Deiche zu transportieren. Sie gehört einfach auf die Ochtum.“

Aus Klischs Sicht stehen seinem Lebenswerk immer wieder Entscheidungsträger im Weg. „Die wollen die Ochtum sauber halten für die Plastikboote. Die sehen die Dimensionen nicht. Dass mein Schiff der einzige Leichter ist, der aus der Zeit der Weservertiefung übrig geblieben ist.“ Und sie verstünden nicht, was er vorhabe: „Durch Kunst auf das hinweisen, was gefühlt und gesehen sein will: Missstände, Freude, Not…“ Die hellen Augen blitzen.

Einmal hätte es fast geklappt. Ein Gast- und Landwirt an der Ochtum habe ihm einen Liegeplatz gewährt, sagt Klisch. Doch dann starb der Gönner. Das Grundstück wurde von einem Nachbarn aufgekauft, der sich ihm gleich „rüde“ genähert und ihn zum Verschwinden aufgefordert habe.

Werkzeug im Kanu transportiert

Das Treffen mit Klisch ist an einem Freitag statt, Freitag, den 13. Die Mariart schaukelt im Sonnenschein auf der Ochtum. Sie sieht etwas mitgenommen aus, zumindest unaufgeräumt. Einen Tag zuvor noch lag sie etwa 200 Meter stromabwärts in der Nähe des Ochtum-Sperrwerks, festgemacht an Dalben des Delmenhorster Segelclubs St. Veit. Ende November hatte sich das Schiff beim Sturm Gonzales losgerissen, das Heck geriet unter Wasser. Auf Bitten des Bremischen Deichverbands am linken Weserufer erlaubte der Segelclub, dass es nach der von Bremen angeordneten Bergung für einige Tage bei ihm festmachen dürfe. Daraus wurden inzwischen fast fünf Monate.

An ihm, beteuert Klisch, habe das alles nicht gelegen. Hätte der Club ihm nur erlaubt, seinen Steg zu benutzen, wäre die Maschine auch schneller repariert gewesen. So habe er mit Monteur Michael Völkel, Werkzeug und Ersatzteilen ein ums andere Mal in einem kippeligen Kanu zu seiner Mariart übersetzen müssen. „Und die haben zugeschaut, obwohl sie wussten, wie gefährlich das war.“ Mit „die“ meint er die Vereinssegler. Deren Vorsitzender Rainer Lietz wollte auf keinen Fall einen Kontakt mit dem Eigner. „Daraus könnte eine Duldung des Bootes abgeleitet und daraus wiederum eine Verantwortung unseres Clubs konstruiert werden“, erklärte Lietz damals.

Flucht vor dem ungemütlichen Wind in die „Ochtumbrücke“. Klisch wirkt hier im Restaurant in seinem Arbeitszeug und dem im Nacken zusammengefassten Haar wie ein Exot. Er kennt das. Sehr wahrscheinlich liege es an seinem Aussehen – und seinen Ansichten –, dass die Leute in ihm einen zu bekämpfenden Fremdkörper sähen. „Denen mit den normierten Maßstäben bin ich vermutlich zu provokant“, sagt er, „ich irritiere die.“

Im Augenblick ist er aber guter Hoffnung. Nach Bremen hat er seine Mariart aus Sicherheitsgründen nicht fahren dürfen. Jetzt hat er sie in eine Ochtum-Bucht bei Deichhausen gebracht. Der Vorsteher des Deichverbandes habe ihm das erlaubt und sich sogar für seine weiteren Pläne interessiert. Klisch: „Mal abwarten, wie’s weitergeht.“

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