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Achilles' Verse Hände hoch, Paddel

Schwimmen, Laufen, Radfahren - und Kajaken: Achim Achilles will bei der Quadrathlon-WM in Berlin starten. Dafür nimmt er eine Trainingsstunde bei der deutschen Kanu-Legende Birgit Fischer - und überlebt diese nur fast.
Kajak-Fahrer: Die richtige Körperhaltung ist beim Paddeln entscheidend

Kajak-Fahrer: Die richtige Körperhaltung ist beim Paddeln entscheidend

Foto: Tamas Kovacs/ picture alliance / dpa

Ist die Erde vielleicht doch eine Scheibe? Dann habe ich bald den Punkt erreicht, wo alles runterfällt. Päwesin liegt am Ende der Welt. Kaum menschliches Leben. Ganz selten nur trudelt eine pensionierte Studienrätin auf dem E-Bike vorbei, in Plastik eingeschweißt, die sich aus Hofläden ernährt, wegen der Allergien. Die Hölle muss in der Nähe liegen. Wer hier freiwillig lebt, der ist speziell. So wie Birgit Fischer. Die Frau hat acht olympische Goldmedaillen erpaddelt und ist bekennende Einsiedlerin. Glücklich steuert sie ihr Boot jeden Tag zwischen Seerosen und Ringelnattern hindurch; sie liebt die Einsamkeit Brandenburgs und meidet die Fahrt ins hektische Berlin. Bei mir ist es umgekehrt.

Heute begegnen sich die Kulturen: Der arglose Paddel-Paddel aus dem Westen trifft die gestrenge Kajak-Königin aus dem Osten. Ende August will ich bei der Quadrathlon-WM in Berlin starten: Triathlon plus Kajak. Um meiner Rolle als Geheimfavorit etwas näher zu kommen, muss ich meine Bootskünste verfeinern. Ob ich die Privatstunde überlebe?

Paddeln ist wie Laufen?

Zur Begrüßung will ich übers Wetter reden, Fußball und das Leben an sich. Aber Birgit Fischer ist keine große Smalltalkerin. Nicht lange schnacken, dafür Leistungstest auf dem Trockenen. Ab aufs Ergometer, mit Rollsitz und einem Besenstiel mit Seilen an den Enden - das Paddel. "Dann mach' ma", sagt die Ausbilderin. Hmm. Ich überlege, mit welchem Stielende ich meine geschmeidige Eleganz vorführe. Paddeln ist ja wie Laufen: Man bewegt die Extremitäten wechselweise und hofft, dass die Muskeln eine Weile mitmachen.

Also los. Links, rechts, wie man das von Olympia im Fernsehen kennt. Eisernes Schweigen von hinten. Birgit Fischer ist bestimmt beeindruckt von meiner Mischung aus Kraft, Anmut und Technik. Ich meine ein leises "Au weia" zu hören. Ob das mir gilt? Leider ja. "Dann fangen wir mal ganz von vorne an", sagt die Trainerin.

Kein Sport für Schreibtischmenschen

Die nächste halbe Stunde zählt zu den traumatischsten meines Lebens. Ich mache nicht etwa einiges richtig, sondern alles falsch. Erster Fehler: Die Hände müssen viel höher, mindestens auf Nasenlevel. Wer mit dem Paddel flach über die Bootsmitte rührt, ist ein stilistischer Terrorist. Das Problem: Arme hochhalten strengt an. Zweiter Fehler: Die Pfoten müssen weit nach vorn. Na super: Die Kombination von hoch und vorn foltert umgehend Schultern und unteren Rücken, exakt jene Regionen, die beim Schreibtischmenschen chronisch untertrainiert sind.

Was ist noch zu beachten? Rumpf rotieren, aber nicht vergessen, dass die Arme hoch und vorn arbeiten. Einfühlsam fragt Frau Fischer, ob meine Rumpfstarre von einem Unfall rühre. Dieser steife Rücken sei ja wohl nicht normal. Doch, sage ich, damit lebe ich seit 50 Jahren, Betonkreuz metropoliensis halt. Wer konnte denn ahnen, dass Kajak-Fahren eine Art Yoga-Lambada auf dem Wasser ist?

"Hände hoch!"

Obgleich ich längstfür den Physiotherapeuten reif bin, jagt mich Frau Gnadenlos aufs Wasser. Ich falte mich ins Boot ohne zu kentern. Das erste Erfolgserlebnis des Tages. Leider auch das letzte. "Der See war heute morgen spiegelglatt", sagt Birgit Fischer. Inzwischen ist ein Mikroorkan aufgezogen, direkt über mir. Die Wellen schwappen über den Bug, der Wind nimmt mir die Luft. Mein Rücken tut weh , dabei habe ich das Paddel noch nicht mal angehoben.

"Hände hoch!", schallt es aus dem Schilf. Jaha.

"Blatt ganz ins Wasser!" Jaha.

"Weiter vorne einstechen!" Jaha.

"Hände höher!" Harghnn.

"Oberkörper drehen!" Meine Wirbel weinen.

Paddeln, Kentern, Paddeln

Während meiner schleichenden Verendung erzählt Birgit Fischer, dass sie neulich einen Schüler hatte, der noch untalentierter gewesen sei. Das ziselierte Lob des Brandenburgers.

Letzte Aufgabe: Ich soll schnell fahren, mit Händen hoch, Paddel vorn und all den anderen Sachen, die ich längst vergessen habe. Ich peitsche wie ein startender Schwan über das Wasser und finde mich ziemlich gut. Mit gemächlichen Schlägen manövriert Birgit Fischer neben mir her und filmt dabei.

Das Leben ist ungerecht. Ich operiere im lila Pulsbereich und die Olympiasiegerin fröstelt. "Da waren schon ein, zwei ganz gute Schläge dabei", sagt sie. Na warte, jetzt drehe ich noch mal richtig auf. Zum Glück ist das Wasser warm. Und ich lerne auch noch, wie man auf hoher See wieder ins Boot kommt, zusammen mit einigen Hektolitern Wasser. Birgit Fischer grinst. Ich auch. Wir Kajak-Profis sind eine eingeschworene Bande.

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