07.01.2019 | Kanu-Wildwasserennsport

Deutsche Wildwasserrennsportler in China - Herausforderungen zwischen Wettkampf und Alltag

Anfang Dezember flogen sechs deutsche Sportler zusammen mit Manuela Gawehn als Betreuerin und Mitglied des ICF Wildwasserkomitees nach China. Sie wurden vom chinesischen Kanuverband eingeladen, an vier Wettkämpfen im westlichen China teilzunehmen. Neben sportlicher Leistung standen vor allem das Promoten des bis dato relativ unbekannten Kanu-Wildwasserrennsport und der kulturelle Austausch im Vordergrund. Außerdem sollten die Rennen als Testwettkämpfe für den geplanten Weltcup 2019 gelten.
Deutsches Wildwasserrennsport Team in China

Nach einer über 40-stündigen Anreise erreichte das deutsche Team Panzhihua, die Stadt der Blumen und Austragungsort der ersten Wettkämpfe und traf dort auf 60 weitere, zu den Wettkämpfen eingeladen Paddler. Schon bei der Ankunft am Flughafen wurden die Sportler aus insgesamt 21 verschiedenen Nationen mit einem Blitzlichtgewitter empfangen wie Superstars- für die meisten eine völlig neue Situation, an die es sich für die nächsten drei Wochen aber zu gewöhnen galt. Gespannt auf die Rennstrecken, ging es dann auch sofort zum Training auf dem Jangtse River. Nach dem fantastischen Empfang mit etlichen Tanzgruppen folgte nun die erste Ernüchterung: Statt in den gewohnten Carbon-Rennbooten mussten die Kajakfahrer in schweren, seekajakähnlichen Plastikbooten und die Canadierfahrer in von den chinesischen Topfahrern aussortierten Slalombooten an den Start gehen. Dies führte im Laufe der Reise immer wieder zu Diskussionen und zur Unzufriedenheit der Sportler, denn einige hatten große Probleme mit dem Bootswechsel. Eine weitere Umstellung stellte das Essen dar, denn es gab original chinesische Küche. So war es keine Seltenheit, dass Würmer, Insekten oder Hühnerfüße auf den Teller kamen. Auch die lokalen Tischsitten entpuppten sich für manch einen Paddler zur Herausforderung. Beim Versuch Reis, Nudeln oder gar Erdnüsse mit Stäbchen zu essen, hatten nicht wenige Angst sich dabei die Finger zu brechen. Es kostete zwar Überwindung, aber letztendlich wurde alles probiert, was serviert wurde und den Geschmack von frittierten Hornissen wird so schnell wohl keiner vergessen.
 
Zwei Tage Training, unzählige Fotos und das Auskurieren den Jetlags später, war es Zeit für das erste Sprintrennen. Die Strecke auf dem zügig fließenden Yangtze River war nicht sonderlich schwer, die Streckenlänge von vier Minuten allerdings etwas gewöhnungsbedürftig. Im Vorlauf ging es vor allem darum, sich einen Finalplatz zu sichern und zu gucken, wie schnell die internationale Top-Konkurrenz ist, insbesondere die Sportler aus der chinesischen Slalom-Nationalmannschaft. Neben Teilnehmern aus vielen Europäischen Ländern, aber auch Neuseeland, Nepal und Chile gingen bei den Kajak Herren Yannic Lemmen (Düsseldorf), Finn Hartstein (Hamburg) und Tobias Kroener (Kelsterbach) an den Start. Die beiden Fuldaer Till Fladung (Canadier) und Janina Piaskowski (Kajak) und Kölnerin Maren Lutz, die sowohl im Kajak als auch im Canadier startete, komplementierten das deutsche Team. Maren Lutz konnte sich nach vier souveränen Läufen gleich zwei Medaillen, Bronze im Kajak und Silber im Canadier, sichern. Janina Piaskowski wurde im gleichen Rennen siebte. Bei den Kajak Herren konnte sich Yannic Lemmen als bester Deutscher den 5ten Platz sichern, Tobias Kroener und Finn Hartstein belegten Rang 7 und 8. Im Vorlauf noch unter den Top 15 musste sich Till Fladung nach dem Finale leider mit Platz 19 zufrieden geben.
 
Motiviert gingen die deutschen Sportler in das Highlight des Rennwochenendes, ein 12 Kilometer langer Marathon mit Massenstart. Für die regionalen Medien wurde aus allen Perspektiven gefilmt, sogar aus Motorbooten und mit Drohnen, um das Renngeschehen live zu übertragen.  Die Strecke bestand aus einem Mix von Wildwasserpassagen und Flachstücken, auf denen versucht werden musste taktisch gut platzierte Attacken nach vorne zu starten. Am besten gelang das dem für Hamburg startenden Finn Hartstein. Trotz chaotischem Start, konnte er noch an die Führungsgruppe aufschließen und ganz an die Spitze fahren. Zwar scheiterte er mehrmals am Versuch der Gruppe davon zu fahren, konnte sich aber im Zielsprint gegen einen Tschechen und einen Chinesen durchsetzen und gewann Gold, knapp dahinter Yannic Lemmen auf Platz vier. Schlechter lief es für Tobias Kroener. Lange Zeit war er als Tempomacher in der Führungsgruppe aktiv, verlor aber knapp 2 Kilometer vor dem Ziel den Anschluss an die Spitze, als ihn gleich zwei Chinesen attackierten. Auch Maren Lutz machte das gute Zusammenspiel der asiatischen Paddlerinnen zu schaffen. Die 3 Chinesinnen zogen sich gegenseitig und fuhren so zu einem deutlichen Start-Ziel-Sieg. Durch eine fehlgeschlagene Kommmunikation mit dem Chinesischen Veranstalter verlor der Canadierfahrer Till Fladung bei einem missglückten Start beachtlich Zeit auf die restlichen Starter und somit glich sein Rennen einer großen Aufholjagd. Einen deutlich besseren Start erwischte die Fuldaerin Janina Piaskowski bei den Kajak Damen. Sie konnte sich auf den ersten Kilometern im Hauptfeld halten, bis sie mit zwei Sportlerinnen aus Spanien und China eine Verfolgergruppe eröffnete. Diese funktionierte wie im Lehrbuch.
Die Paddlerinnen wechselten sich ab mit Wellegeben, eine Technik vergleichbar mit dem Windschatten im Radsport, und die Distanz zur Spitzengruppe schrumpfte von Paddelschlag zu Paddelschlag wieder. Für eine Spitzenplatzierung sollte es nicht mehr reichen, aber die Fuldaerin konnte sich in einem starken Zielsprint gegen ihre Konkurrentinnen aus Spanien und China durchsetzen und landete auf einem hervorragenden fünften Rang. ICF Mitglied Manuela Gawehn war durchaus zufrieden mit den ersten Wettkämpfen, zwar waren gerade die Starts bei den Marathons noch nicht regelkonform, was aufgrund der Sprachbarriere auch nur schwer durchsetzbar war, aber das sollte beim nächsten Marathonrennen optimiert werden, da in den kommenden Jahren auch bei Weltcups Massenstarts durchgeführt werden dürfen. Auch der Abschluss des ersten Rennwochenendes, ein traditionell chinesisches Abendessen mit ranghohen regionalen Politikern zeigte das starke Interesse der Chinesen am Kanusport.
 
In der Zeit bis zu den nächsten Wettkämpfen bekam die internationale Reisegruppe die Möglichkeit, auf dem anspruchsvollen Wildwasserkanal vom Kanusportzentrum im Miyi zu trainieren. Das Dauergrinsen war nicht mehr aus den Gesichtern der deutschen Sportler zu bekommen, als sie in einer traumhaften Kulisse aus beeindruckenden Hochhäusern und Bergen das erste mal in die Boote steigen durften und das Paddeln bei 25 Grad Außentemperatur genießen konnten. Ein weiterer Höhepunkt des fünf tägigen Aufenthalts in Miyi war das nächtliche Paddeltour durch die mit farbigen LED’s beleuchtete Innenstadt, bei der die Diskussion aufkam, ob es nun schön oder doch zu kitschig sei.
 
Immer im Hinterkopf war das nächste Ziel: der legendäre Tiger Jump auf dem Salween River. Die 10-stündige Busreise führte nach Liu Ku eine Stadt nahe der tibetanischen Grenze, die im letzen Jahr wie aus dem Nichts aufgebaut wurde. Von dort ging es mit Kleinbussen 60 Kilometer weiter zur Wildwasserpassage des Flusses. Aufgrund der sehr miserablen Straßenbedingungen dauerte diese Fahrt allerdings 3 Stunden und die Sportler waren heilfroh, als sie aus den Bussen steigen konnten. Man war sich sicher: die Autofahrten waren gefährlicher als das Paddeln auf dem anspruchsvollen Bach. Trotzdem verlangte die Strecke durch eine wunderschöne Schlucht von den Sportlern alles ab, denn für die meisten waren es die größten Wellen, die sie je bezwungen hatten. Der Nervenkitzel und die atemberaubende Atmosphäre in der Schlucht machten die Rennen durch den Tiger Jump zu einem unvergesslichen Erlebnis.
 
Wildwasserexperte Yannic Lemmen konnte mit einer suboptimalen Linie den Vorlauf mit über einer Sekunde Vorsprung für sich entscheiden. Auch Finn Hartstein qualifizierte sich mit einem starken Rennen für das Finale der besten 10. Mit einem kleinen Patzer in der Schlüsselstelle reichte es für Tobias Kroener mit einem knappen Abstand auf den begehrten 10ten Platz leider nur für Platz 11. Maren Lutz konzentrierte sich voll auf ihr Kajakrennen, verzichtete aufgrund des Verletzungsrisikos auf ihren Canadierstart und konnte sich souverän fürs Finale der besten Kajakdame qualifizieren. Für die nichtqualifizierten Sportler galt es nun, die Rettungskräfte auf der anspruchsvollen Strecke zu unterstützen und natürlich die Finalisten lautstark anzufeuern.
 
Für das Finale wurden in der gesamten Schlucht Kameras installiert, um die spannenden Wettkämpfe live ins chinesische Fernsehen zu übertragen. In einem mit internationalen Topfahrern besetzten Finale der Kajak Herren wurde Yannic Lemmen mit dem denkbar kleinsten Abstand von 0,01 Sekunden Rückstand zweiter hinter dem Sieger aus Tschechen Vojta Zapletal. Der Düsseldorfer hatte im Finallauf großes Pech mit den Wellen und ärgerte sich über den knapp verpassten Sieg. Aufgrund der neu gewonnen Freundschaften zwischen den Sportlern, gönnte er dem Tschechen den Sieg allerdings von herzen. Finn Hartstein fuhr einen souveränen Lauf und landete auf dem sechsten Rang. Das Glück war nicht auf deutscher Seite, auch Maren Lutz wurde im Finallauf von einer Walze gestoppt, machte eine Kerze, auf die ein tiefes Kanten folgte, welches sie aber noch aufgrund ihrer Erfahrung im bewegten Wasser, meistern konnte. Das Publikum war begeistert von ihrer Vorstellung, aber sie verpasste knapp das Podium und musste sich mit Platz vier zufrieden geben.
 
 
Solch ein Wildwasser fordert auch oft ein Tribut. Neben Materialschäden kugelte sich der Franzose Felix Bouvet die Schulter aus. Der größte Haken an der Sache war allerdings nicht die Verletzung an sich, sondern die medizinische Versorgung. Das nächstgelegene Krankenhaus war drei Stunden über eine unbefestigte Straße entfernt- unvorstellbar mit einer luxierten Schulter. Mit chinesischer Hilfe gelang es Physiotherapeutin Janina Piaskowski die Schulter wieder richtig zu platzieren, bevor es auf eine abenteuerliche Fahrt mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus ging. Rettungsgassen wurden trotz Blaulicht und Martinshorn vergeblich gesucht und auch die Behandlung in einem Krankenhaus einer chinesischen Kleinstadt war zwar spannend, aber nicht unbedingt empfehlenswert.
 
 
Den Abschluss der Rennen bildete ein 18 Kilometer langer Marathon, bis in die Innenstadt von Liu Ku. Hier wurden die Athleten jubelnd von der einheimischen Bevölkerung empfangen. Die Strecke bestand im oberen Teil aus einem Wildwasserteil mit mehreren Schwellen mit großen Wellen, im unteren Teil folgten lange Flachstücke, auf denen die Paddler noch einmal alles aus sich rausholen konnten. Wie schon beim ersten Marathon fuhren die Chinesen taktisch gute Rennen und sicherten sich in jedem Rennen die Goldmedaille. Die Deutsche Medaillenhoffnung Finn Hartstein war lange Zeit in Führung, die Konkurrenten nutzen seine Wellen und ließen sich ziehen. Der Hamburger hatte am Ende keine Chance mehr den Attacken der anderen Stand zu halten und beendete das Rennen knapp hinter Tobias Kroener als zehnter. Yannic Lemmen landet nach einer starken Perfomance auf Rang 5. Im gleich tat es Maren Lutz bei den Canadier Damen, Janina Piaskowski landete auf Rang 7 und Till Fladung wurde nach einem 13., eine hervorragende Leistung für den Fuldaer.
 
Die Gouverneurin der Region Yunnan zeigte sich so begeistert von den Wettkämpfen, dass sie prompt versprach bis zum Weltcup im nächsten Jahr ein Kanuzentrum bauen zu lassen, um den Sport in China populärer zu machen. Ein großer Erfolg in der Entwicklungsarbeit des Kanusports, mit dem vorher keiner gerechnet hat.
 
Alles in allem zeigten sich die 6 deutschen Sportler sehr zufrieden mit der Reise nach China, bei der ausnahmsweise nicht nur die Rennen, sondern auch die Kulturelle Verständigung durch Sport im Vordergrund stand. Als Sportler einer nichtolympischen Sportart, konnte das deutsche Team außerdem zum ersten Mal erleben, wie es ist, wenn die Kosten für eine solche Veranstaltung getragenen werden und es für die ersten sechs Plätze in jeder Kategorie sogar Preisgeld gibt. Wichtiger war trotzdem, dass es eine Reise mit vielen wunderschönen Momenten, neu geschlossenen Freundschaften und aufregenden Abenteuern war, die noch lange in Erinnerung bleiben werden, sowohl für die angereisten Sportler, als auch für die offenherzigen Chinesen, die alle Paddler in ihrem Land mehr als nur Willkommen hießen.
 
 
Text: Till Fladung und Janina Piaskowski


Zu den Bildern:

  • Bild oben: Finn Hartstein und Maren Lutz beim "Tiger Jump"
  • Bild 2: Das deutsche Team in der verbotenen Stadt Yannic Lemmen, Janina Piaskowski, Tobias Kroener, Till Fladung, Maren Lutz, Manuela Gawehn
  • Bild 3: Nachtpaddeln in Miyi
  • Bild 4: Das deutsche Team in China von links nach rechts Yannic Lemmen, Till Fladung, Janina Piaskowski, Tobias Kriener, Maren Lutz, Finn Hartstein
Deutsches Wildwasserrennsport Team in China
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