Wiesbaden: Hilfskonzept bei sexueller Gewalt

Wenn Kinder Opfer sexueller Gewalt werden, ziehen sie sich oftmals zurück und sprechen nicht über ihre Ängste. Archivfoto: fotolia - pegbes
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Ein verbindliches Verfahren regelt in Wiesbaden das Verhalten in Verdachtsfällen. In einer Helferkonferenz werden ungewöhnliche Vorfälle besprochen und geprüft.

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WIESBADEN. Das fünfjährige Mädchen Marie fällt in der Kita mit extrem merkwürdigen Äußerungen auf: Erzählt einem Erzieher von einem Nackedeispiel und fragt ihn, ob sie seinen „Pippimann“ küssen soll. Es ist ein Fallbeispiel, erklärt Brigitte Weiss vom Verein „Wildwasser“, die in der Wiesbadener Fachberatungsstelle arbeitet, „aber auch ein echter Fall aus der Praxis“.

Wer nach einem solchen Vorfall informiert wird und welche Schritte erfolgen – das ist in Wiesbaden in dem „Hilfskonzept Sexuelle Gewalt“ geregelt, an dem neben der Bezirkssozialarbeit auch „Wildwasser“ und die Erziehungsberatungsstellen mitarbeiten. In der aktuellen Sitzung des Frauenausschusses wurde es vorgestellt.

Demnach schauen zunächst die Erzieher in solchen Fällen genauer hin, erklärt Weiss. „Eine Kollegin des Mannes würde das Mädchen ansprechen, nachfragen, worum es bei dem Spiel geht. Vielleicht haben die Erzieher auch gemerkt, dass sich das Verhalten des Mädchens in letzter Zeit verändert hat, sie zum Beispiel ängstlicher geworden ist.“ Danach werde über die Kitaleitung die Bezirkssozialarbeit über den Vorfall informiert. Diese könne dann – in besonders alarmierenden Fällen, sofort einschreiten – oder zunächst eine Helferkonferenz einberufen. Im konkreten Fall würden daran die Erzieher, die Leitung der Kita, Mitarbeiter der Bezirkssozialarbeit und von „Wildwasser“ teilnehmen. „Ziel ist es einzuschätzen, ob dem Kind sexualisierte Gewalt widerfahren ist“, so Weiss.

Ist man sich nicht sicher, würden die Eltern zunächst zu einem normalen Gespräch in die Kita eingeladen und auf das allgemein veränderte Verhalten des Kindes, also die Ängstlichkeit, angesprochen. Vermuten die Experten hingegen eine „eindeutige sexuelle Handlung“, lädt das Jugendamt die Eltern zu einem sogenannten „Konfrontationsgespräch“, in dem über die Vermutung und Maßnahmen zum Schutz des Kindes gesprochen wird. Daran nehmen auch Mitarbeiter der Erziehungsberatungsstellen teil. Handelt es sich bei dem vermuteten Täter um den Vater des Kindes und die Mutter sei nicht bereit zu einer Trennung, werde das Kind in Obhut genommen. Wie Kristina Thomas von der Bezirkssozialarbeit verdeutlicht, steigen die Fallzahlen sexualisierter Gewalt in Wiesbaden deutlich. „Das liegt an gesellschaftlichen Veränderungen, wie der zunehmenden Gewalt unter Jugendlichen, aber auch daran, dass sich Opfer immer häufiger trauen, solche Fälle auch zu melden.“

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Allein in diesem Jahr seien bereits 30 Helferkonferenzen und sechs Konfrontationsgespräche durchgeführt worden, so Thomas. Bei der Hälfte der Konferenzen habe sich der Verdacht hinterher bestätigt. Polizei und Staatsanwaltschaft würden in der Regel durch die Eltern selbst über die Gewalt informiert. „Wir übernehmen das, wenn sie nicht willens oder in der Lage dazu sind.“

In Obhut genommene Kinder unter sechs Jahren werden üblicherweise in Bereitschaftspflege gegeben, so Thomas. „Größere Kinder kommen eher in Wohngruppen unter.“