Freundschaften fürs Leben

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Jenseits der 30 streben die Lebensentwürfe auseinander. Warum Ehrlichkeit hilft, wahre Freunde zu behalten.

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. Michel Herde geht gerne dort wandern, wo sich wenige Spuren von Zivilisation finden. Nicht mal ein Flugzeug will er am Himmel sehen. Mit Camper, Wanderkayak und seiner Frau Simone Handwerk verbrachte er im vergangenen Jahr mehrere Monate in Skandinavien. Auch zu Hause ist der 35-Jährige aus Guldental bei Bad Kreuznach gerne. Dort braut er sein eigenes Bier.

So ruhig war Herdes Leben nicht immer: Er betrieb auf internationalen Wettkämpfen Kanu-Slalom als Leistungssport, machte Abitur, studierte Biologie in Kaiserslautern und Cambridge, hängte einen Doktor dran, verbrachte mehrere Jahre in Neuseeland und lebte in Bonn. Mit anderen Worten: Michel Herde hat an vielen Orten viele Freundschaften geschlossen. Aber mit den Jahren verändern sich Menschen und deren Interessen. Was wird aus unseren Freundschaften, wenn wir jenseits der 30 sind?

„Freundschaften brauchen eine solide Basis, wie etwa die gemeinsame Vergangenheit oder ein gemeinsames Interesse, irgendwann brauchen sie aber auch neue gemeinsame Erlebnisse und Impulse, sonst dreht es sich im Kreis“, resümiert seine Ehefrau Simone nach ihrer Reise, die das Paar nicht nur an ehemalige Orte, sondern auch in die Wohnzimmer vieler Freunde brachte. Beginnend unter anderem mit Brüssel, Lille, England und Schottland führte ihr Trip nach Norwegen und Schweden, von dort aus wieder in den Süden Deutschlands, außerdem nach Zürich und schließlich erneut auf die weit entfernte Insel: Neuseeland.

Die geografischen Meilen wurden zugleich zu einer Reise durch die Freundschaften ihres Lebens: Sandro etwa, einst kennengelernt in Neuseeland, lebt heute in Glasgow und ist Dozent an der Uni, er ist verheiratet und hat eine Tochter. Madeleine lebt in Stuttgart, einen früheren Mitbewohner besuchte das Paar in seinem neuen Zuhause in Heidelberg. Auch Boran und Katerina sind zu guten Freunden geworden, kennengelernt haben sich die vier durchs Couchsurfing, einem Internet-Netzwerk, bei dem Gastgeber Reisende aus aller Welt kostenlos bei sich übernachten lassen.

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Gesprächsstoff trotz vieler Unterschiede

Trotz solcher exotischen Bekanntschaften stehen auch die „Nostalgiefreunde“, wie Michel Herde das nennt, auf dem Programm. Und siehe da: Auch wenn einer der besten Jugendfreunde, Ingenieur mit Eigenheim und Familie, nicht die Reisefreude teilt, hat man sich noch allerlei zu erzählen. „Manche Freundschaften sind einfach eine Zeit lang auf Pause, man macht dann da weiter, wo man aufgehört hat und fällt direkt ins alte Freundschaftsverhältnis“, ist sich Herde sicher. Aber nur der guten alten Zeit wegen überdauert seiner Meinung nach eine Freundschaft nicht. „Ich glaube, wir haben viele Freunde, die ähnliche Werte, Interessen und Lebensformen haben wie wir. Damit haben die Freundschaften auch mit weniger regelmäßiger Pflege über die lange Distanz einen stabilen Nährboden“, resümiert der Weltenbummler.

Kathrin Laborda, die als Mentaltrainerin auch Bewerbertraining und Karrieremanagement in ihrem Repertoire hat, weiß um den Einfluss zwischenmenschlicher Beziehungen auf das gesamte Leben, sei es innerhalb einer Liebesbeziehung, einer Familie oder innerhalb von Freundschaften. Letztere vergleicht die Frankfurterin mit einem Baum und untermalt damit Herdes These: Gute Wurzeln seien für eine Freundschaft hilfreich und wichtig, aber der Baum brauche auch hin und wieder etwas Wasser.

Für Laborda stehen Selbstwert, Kommunikation, Beziehung und Bewusstsein in vielen Bereichen des Lebens im Fokus. Das gelte für die Gehaltsverhandlung mit dem Chef ebenso wie für die lebenslange Freundschaft zweier Freundinnen. „Verstehst du, dass jeder seine eigene Welt hat und es kein richtig oder falsch gibt, dann läuft Kommunikation auf einer ganz anderen Ebene“, betont Laborda auch im Hinblick auf die Veränderungen, die das Leben mit sich bringt.

Aus ihren Seminaren und Gesprächen weiß sie, dass nicht zuletzt eine mangelnde Kommunikation dafür Ursache ist, wenn sich Freunde voneinander entfernen. „Du möchtest mal etwas mit deiner Freundin allein unternehmen, ohne ihre Kinder? Dann sag ihr das doch einfach“, nennt die Mentaltrainerin ein Beispiel. Um jene Interessen auch in einer Freundschaft gut vertreten zu können, spiele Selbstwert eine große Rolle. Wer über eine gewisse innerliche Stärke und Zufriedenheit verfüge, der könne auch auf eine Unstimmigkeit in einer Freundschaft besser reagieren.

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Gemeinsame Interessen verändern sich

Bloß: wie viel „Baumpflege“, also gemeinsame Zeit mit Freunden, ist möglich, wenn drei Kinder im Haushalt sind, beide Eltern arbeiten gehen, zwischen Rasenmähen, Wäschemachen und dem Grundschulprogramm ganz? „Es geht nicht nur darum, dass die zur Verfügung stehende Zeit weniger wird. Wenn man Kinder hat, werden auch ideelle Aspekte im Hinblick etwa auf Lebensgestaltung oder Kindererziehung, die man miteinander teilt oder eben nicht teilt, noch wichtiger“, meint Wilhelm Huber, kurz Willi. Der 42-Jährige lebt in Mainz und hat drei Kinder im Alter zwischen zwei und acht Jahren. Viele seiner Freundschaften hat er bis heute, auch wenn die meisten erst später Kinder bekamen als Willi. Einige Freundschaften aus Jugendtagen in der alten Heimat pflegt der gebürtige Hamburger ebenfalls noch immer – trotz Kinder und trotz Entfernung.

Es gibt allerdings auch Freunde, mit denen er sich auseinandergelebt hat. Das neueste Smartphone, die nächste Party – die inhaltlichen Schnittmengen waren dem Mainzer eines Tages zu gering. „Wenn man nur noch so wenig Zeit zur freien Verfügung hat, überlegt man sich auch eher mal: Ist es mir das jetzt wert?“, sagt er.

Kinder bringen noch eine ganz andere Herausforderung: Jeder erzieht anders. Auch hier hat Willi gemerkt, dass das Konflikte birgt. In die Erziehung seiner Freunde hat er sich jedoch bislang nicht eingemischt. Das Fazit des Familienvaters: Durch die Kinder hat sich nicht alles verändert, aber durch sie ist die Definition von Freundschaft für Willi eine andere geworden. „Vielleicht wäre das aber in einer gewissen Weise auch ohne Kinder einfach durchs Alter so gekommen“, spekuliert er.

Ein Rezept für eine lebenslange Freundschaft gibt es offenbar nicht. Menschen, ihr Umfeld und ihre Interessen verändern sich, die Zeit wird rar in manchen Lebensabschnitten. „Einen Freund auf Augenhöhe zu haben, ist großes Glück“, sagt die Mentaltrainerin Kathrin Laborda. Das sollte man nicht leichtfertig aufgeben.