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Mission erfüllt nach langer, aufregender Reise

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Melbourne – Für den Fototermin in den Botanischen Gärten stieg sie in eine Gondel.

Beglückt hielt Caroline Wozniacki den am Abend zuvor gewonnenen Pokal im Arm, und als Momentaufnahme passte die Szenerie. Aber um den Weg zu beschreiben, den sie bis zum ersten Grand-Slam-Titel zurücklegen musste, hätte ein Kajak besser gepasst. Eine so lange Strecke auf wildem Wasser legt man nicht in einer Gondel zurück, sondern in einem robusten, kleinen Boot, das eine Begegnung mit Felsgestein und Stromschnellen unbeschadet übersteht.

Die Geschichte wäre nicht halb so spannend, hätte Caroline Wozniacki damals mit 19 das erste große Finale ihres Lebens gewonnen, vor gut acht Jahren bei den US Open in New York. Doch sie verlor dieses erste wie auch das zweite an gleicher Stelle fünf Jahre danach. Insgesamt 67 Wochen lang stand die Tochter des ehemaligen polnischen Fußballprofis Piotr Wozniacki und seiner Frau Anna, einer Volleyball-Nationalspielerin, an der Spitze der Weltrangliste. Mit frustrierender Regelmäßigkeit wurde sie in dieser Zeit mit der Frage konfrontiert, ob eine Nummer eins ohne Grand-Slam-Titel nicht ein allzu blasses Bild vom Frauentennis zeichne. Wozniackis Spielweise galt als wenig aufregend, einem Grundkonzept folgend, das eher auf Verteidigung, denn auf risikovolles Angriffsspiel ausgelegt war.

Ende Januar 2012 verlor sie die Führung in der Weltrangliste. Die Zeit danach war gefüllt mit Verletzungen und öffentlichen Diskussionen über ihre gescheiterte Beziehung mit dem irischen Golfprofi Rory McIlroy – kurz vor der geplanten Hochzeit. Doch für die aufrechte Art, wie sie mit diesem schmerzhaften Ende umging, erntete sie ebenso große Bewunderung wie für ihren Start beim New York Marathon, den sie mit einer Zeit von drei Stunden, 26 Minuten und 33 Sekunden beendete. Das war ein paar Wochen nach der zweiten Niederlage im Finale eines Grand-Slam-Turniers gegen ihre Freundin Serena Williams.

Manchmal wurde ihr vorgeworfen, sie kümmere sich mehr um ihr Leben auf dem roten Teppich oder um Shootings für Hochglanzmagazine, aber auch diese Vorwürfe konterte sie ziemlich cool. „Ich arbeite hart, aber wenn ich Zeit übrig habe, dann versuche ich Spaß zu haben. Wir leben nur einmal. Und wir kriegen keinen Mulligan.“ Der Begriff stammt aus dem Golfsport und steht für die straffreie Wiederholung des ersten Schlages auf einer Runde, einer speziellen Vereinbarung unter den Spielpartnern. Eine Vergünstigung dieser Art nahm sie nie für sich in Anspruch, aber es gab vor zwei Jahren eine Phase, in der sie sich fragte, ob es sich wirklich noch lohne, immer weiterzumachen, vor allem im Sommer 2016, als sie in der Weltrangliste auf Platz 74 zurückgefallen war.

In einem Gespräch für die Webseite des amerikanischen Fernsehsenders ESPN sagte Caroline Wozniacki, inzwischen 27 Jahre alt, Besitzerin einer weitaus besseren Vorhand als früher, eines effektiveren Aufschlages und einer sichtlich offensiveren Spielanlage am Tag vor dem Beginn der Australian Open: „Manchmal musst du einfach nett zu dir sein und sagen: Wisst ihr was, Leute? Das ist eine Reise, die Tag für Tag weiterführt. Und du kannst nicht mehr tun, als dich immer wieder reinzuhängen.“

So wie im Spiel der zweiten Runde, als sie im dritten Satz gegen die Kroatin Jana Fett 1:5 und 15:40 zurücklag, zwei Matchbälle abwehrte – und noch gewann. Und vor allem im Finale gegen Simona Halep, die mit den gleichen Voraussetzungen gestartet war – abgewehrten Matchbällen im Turnier-Verlauf, darunter in einem fantastischen Spiel gegen Angelique Kerber, und zwei verlorenen Finals bei Grand-Slam-Turnieren.

Auch dieses letzte Spiel war ein Kracher. Am Ende hatte die Dänin ein paar Tropfen mehr Sprit im Tank beim Sieg in drei großen Sätzen (7:6, 3:6, 6:4), und darin lag der ganze Unterschied. Alle litten mit Simona Halep, die die Niederlage wie ein Champion annahm (und sich später – laut Medienberichten – in einem Krankenhaus wegen Dehydrierung behandeln lassen musste). Und alle freuten sich mit der Siegerin. Am Ende kehrte Caroline Wozniacki mit dem ersehnten Pokal im Arm nach sechs ereignisreichen Jahren auch an die Spitze der Weltrangliste zurück. Mission erfüllt, in allen Belangen.  dh

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