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Die Sucht nach dem weiten Horizont

Dirk Rohrbach paddelt den kompletten Yukon entlang. Er findet in weiten Landschaften Menschen mit weiten Seelen.

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© Claudia Axmann

Von Jochen Mayer

Wenn, dann richtig. Dirk Rohrbach ist konsequent. Viele träumen von Abenteuern. Zum Beispiel mal auf dem Yukon zu paddeln, um Goldgräberromantik zu spüren, Jack London nachzuempfinden oder pure Natur und Indianer zu erleben. Aber wer bricht schon tatsächlich auf? Der 48-Jährige wagte das Abenteuer auf dem Yukon – konsequent. Der Arzt paddelte die gut 3 000 Kilometer vom Ursprung bis ins Mündungsdelta. Zum Vergleich der Dimensionen: Das wäre theoretisch eine Tour auf der Elbe von der Quelle im Riesengebirge bis zu einer imaginären Mündung am nördlichen Polarkreis.

Die Abende sind wild-romantisch am kleinen Feuer.
Die Abende sind wild-romantisch am kleinen Feuer. © Claudia Axmann

Dirk Rohrbach brauchte 70 Tage im selbst gebauten Kanu aus Birkenrinde. Für den gemeinsamen Bootsbau fand er einen Kanadier in Ontario. Nach drei Wochen Bauzeit war die vom Baum geschälte Rinde um einen Zedernholzrahmen gefaltet, mit Wurzeln vernäht. Die Nähte dichtete ein Mix aus Fichtenharz und Bärenfett ab. „Das Boot bestand komplett aus Naturmaterialien“, erzählt Dirk Rohrbach im Interview mit der Sächsischen Zeitung. Paddeln war kein Problem. Als Zwölfjähriger hatte er sich im Kanuverein in Hanau versucht. Die Grundkenntnisse halfen auf dem Yukon.

Die Tour klingt extrem sportlich. „Manchmal war es körperlich anstrengend“, sagt der Profi-Abenteurer und will keinen großen Akt daraus machen, „es geht ja immer flussabwärts.“ Wenn der Wind nicht von vorn bläst, kommt man gut voran auf dem breiten Fluss. „Es ist schon eher eine mentale Belastung“, gesteht Dirk Rohrbach, „alleine und in Sorge um das anfällige Boot auf dem Fluss zu sein. Doch je länger ich unterwegs war, desto besser lernte ich den Fluss kennen, auch den Umgang mit Gefahren, und ich fühlte mich immer wohler.“ Selbst Stromschnellen wie die Five Finger Rapids nahm der Paddler ohne Stress.

Keine Chance im kalten Wasser

Die größte Gefahr waren Wellen, die sich mannshoch auftürmen können. An den Quellseen hatten Einheimische gewarnt. „Die Berge verstärken den Wind zu gefürchteten Fallwinden“, erzählt Dirk Rohrbach. „Wenn du dann ins kalte Wasser fällst, hast du kaum eine Chance. Die Indianer freuen sich dann, wenn die Kanuten Schwimmwesten tragen. Sie sagen: ,Dann finden wir die Leichen schneller.‘ Haha.“ Es ist kein lockeres Lachen. Am zweiten Tag überlebte der gebürtige Hesse gleich einen Unfall: Zu nah am Ufer war das Kanu bei Wind und Wellen an Steinen leckgeschlagen. Frustriert reparierte er es und war fortan noch mehr um das Kanu besorgt.

Die größte Angst vor dem Kentern war am Ende unbegründet. Es kam auch zu keiner direkten Begegnung mit Bären: „Zum Glück“, gesteht Rohrbach. „Abdrücke von Pfoten gab es. Aber ich war auch sehr vorsichtig beim Übernachten, hielt mich an Regeln.“ Kochplätze verließ er schnell wieder, paddelte weiter und aß stromabwärts, um möglichst wenige Duftnoten für Bären zu setzen. Das Bären-Abwehrspray blieb unbenutzt. „Das größte Problem für den Kopf war die Vorstellung, das Boot zu beschädigen und unterwegs liegen zu bleiben.“ Das Kanu hielt aber stand.

„Das Tolle am Yukon ist seine Dimension“, schwärmt Dirk Rohrbach. „Man hat einen enormen Weitblick, erlebt dadurch einen weiten Horizont, der auch den eigenen weitet.“ Dafür sorgte zudem die Begegnung mit einem Russen. Der war vor mehr als 20 Jahren auf einem Floß den Yukon entlanggetrieben, unterwegs hängen geblieben. „Er glaubt, dass der Horizont unsere Psyche beeinflusst“, erzählt Rohrbach von der nachhaltigen Begegnung. „Es gibt sicher diese Zusammenhänge: Je weiter man blicken kann, je weiter der Blick schweift, desto weiter werden das Herz, die Seele, der Geist. Das habe ich jedes Mal bei den Menschen am Fluss gespürt, mit ihrer Herzlichkeit, Gastfreundschaft, dem Austausch miteinander.“

Immer wieder muss Dirk Rohrbach nach Nordamerika, nicht nur wegen der Weite. Seine Leidenschaft kam nach einer ersten Reise an die Westküste. „Da gibt es so viele Geschichten zu entdecken. Die Menschen liegen mir, die Landschaft. Dort fühle ich mich zu Hause, es wird mir nie langweilig. USA, Kanada, Alaska bieten aber auch so unterschiedliche Menschen, Landschaften, Vegetationen.“ Und er vergleicht die Dimensionen mit Europa: „Da gibt es ja auch gravierende Unterschiede. Nichts anderes ist es in Nordamerika.“

Acht Jahre Erfahrung als Arzt

Aus eigener Kraft bewegt sich Dirk Rohrbach am liebsten. Dabei ist er mit zwei kaputten Knien gehandicapt, Überbleibsel einer Jugend-Erkrankung. Er trägt diese Einschränkung nicht vor sich her, weiß aber um den Zustand, da er acht Jahre als Arzt in einer orthopädischen Praxis in München gearbeitet hat. Doch er will sich davon auch nicht unterkriegen lassen. Deshalb nutzt er für seine Touren am liebsten das Kanu oder Rad.

Das Gefühl von Weite gibt Dirk Rohrbach gerne weiter – wie am Mittwoch in Dresden. Da präsentiert er seinen neuen Yukon-Vortrag, der erst vergangene Woche in Kempten/Allgäu Premiere hatte und erstmals auch Filmsequenzen enthält. Im Live-Auftritt zeigt er in sehenswerter Natur zahlreiche Begegnungen mit erstaunlichen Menschen wie die mit einem Totem-Schnitzer. Und immer wieder geht es darum, wie Menschen ihren Platz im Leben und am Fluss finden, egal ob Ureinwohner oder Aussteiger.

Über Reisebücher und Vorträge finanziert Dirk Rohrbach seine nächsten Reisen. „Wenn, dann richtig“, gilt auch für die Vorträge. Mit Reisepartnerin Claudia Axmann folgt der Fernweh-Profi seinen Touren noch einmal, um in aller Ruhe zu spektakulären Fotomotiven zu kommen. So kehrte er für weitere Bilder und Interviews nach seiner Yukon-Soloreise noch zweimal an den Fluss zurück, hat dort mittlerweile insgesamt 10 000 Kilometer zurückgelegt.

Demnächst zieht es ihn wieder alleine nach Nordamerika. Die Ziele gehen ihm dabei nicht aus. Alaska im Winter oder der Mississippi im Sommer ist gerade die spannende Frage. Reisemüdigkeit spürt er nicht. Ein weiter Horizont macht wohl auch süchtig nach mehr.

Dirk Rohrbach: „Yukon. Neue Abenteuer am großen Fluss“ bei Globetrotter Ausrüstungen Dresden, Prager Straße, Mittwoch, 20.30 Uhr.