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Im Land der Leoparden und Buschleute Mit dem Kanu auf dem Oranje im Süden Namibias

Von Kai Althoetmar, Kai Althoetmar | 14.01.2017, 09:30 Uhr

Ein lautes Platschen, eine Schimpfkanonade. Ian ist über Bord gegangen. Jetzt steht er mitten im seichten Fluss und schöpft mit einer Tasse das Wasser aus dem gekenterten Kanu. Die anderen lachen. Die erste Stromschnelle war völlig harmlos, kaum 500 Meter sind zurückgelegt.

Vom namibischen Grenzort Noordoewer an der Grenze zu Südafrika bis nach Oranjemund an der Atlantikküste sind es rund 250 Kilometer, folgt man dem Lauf des Orange River. Knapp die Hälfte davon liegt vor der fünfköpfigen Gruppe – im Kanu macht das vier Tage. Der 1860 Kilometer lange Strom ist eine beliebte Anfängerstrecke für Kanuten, vor allem das letzte Viertel, das durch den Richtersveld-Nationalpark führt und die Grenze zwischen Namibia und Südafrika markiert. Stromschnellen sind selten.

Die Kühlbox und drei kleine Plastiktonnen sind auf die drei Mohawk-Kanus verteilt und gut festgezurrt. Die Strömung ist kaum wahrzunehmen, Armarbeit gefragt. Auf weiten Strecken ist der Oranje kaum einen Meter tief. Im Gegensatz zum Fischfluss, dem größten Fluss im kargen Halbwüstenstaat Namibia, führt der Oranje immer Wasser.

Reichstes Diamantenfeld der Welt

In den Drakensbergen in Lesotho entspringt der Oranje, vereint sich mit dem Vaal und fließt weiter zum Atlantik. Das Mündungsgebiet bei Oranjemund gilt als das reichste Diamantenfeld der Welt. Bis zu den spektakulären Funden 1928 war der äußerste Süden Namibias, der einstigen deutschen Kolonie, ein fast menschenleerer Halbwüstenfleck auf der Landkarte.

Einst lebten hier Buschmänner, die San, die den Oranje „Großen Fluss“ nannten. Weiße und Bantu-Völker drängten sie in die Kalahari-Wüste ab. Die meisten der heute noch 38000 Buschleute Namibias kämpfen im 1970 geschaffenen Reservat „Buschmannland“ im Nordosten des Landes als Subsistenzbauern oder Farmarbeiter um ihr Überleben. In Südafrika gibt es noch etwa 4500, im gesamten Süden Afrikas geschätzte 100000 San. Nur wenige leben noch als Jäger und Sammler wie früher in der wasserarmen Trockensavanne, die meisten in Botsuana.

Keine Menschenseele ist mehr zu sehen, keine Straße, kein Weg begleitet den Fluss. Kein Laut ist zu hören, wenn die Paddel ruhen. Das Richtersveld, eine majestätische Berglandschaft, zeichnet sich in der Ferne gegen den klaren Himmel ab. Mit jedem Paddelschlag taucht die kleine Kanuflotte tiefer in die Einsamkeit der Natur ein.

Mittagsrast im Ufergras. Corned Beef und Brot mit Käse machen die Runde. Das Flusswasser kann man trinken, es ist bilharziosefrei. 25 Kilometer legt die kleine Kanuflotte durch ruhiges Fahrwasser zurück. Auf Nilpferde und Krokodile muss niemand achtgeben – es gibt sie hier nicht. Eine windgeschützte Uferpartie dient als Camp. Niemand braucht ein Zelt in dieser warmen Nacht. Die Mücken sind keine Gefahr, die Gegend ist malariafrei. Der Blick auf das endlose Sternenmeer am Himmel vertreibt jeden Gedanken an Leoparden und Giftschlangen, die das menschenleere Richtersveld besiedeln.

Abenteuerliche Passage

Die abenteuerlichste Passage steht noch bevor: Shamrock, 500 reißende Meter durch einen schluchtartigen, mit Felsen übersäten Flussabschnitt. „Stromschnellen!“ Aus Hunderten Metern Entfernung sind sie zu hören. Alle legen die Rettungsweste an. Jeder umklammert fest sein Paddel. Etwa 50 Meter breit ist der schäumende Fluss. Die Wellen schwappen ins Boot, das wie ein Pferd scheut. Ian verliert auf dem Rücksitz die Balance, beide Mann gehen über Bord. Das Kanu schießt kieloben davon, die Crew kopfunter hinterher. Aus dem Fluss ragen dicke Findlinge. Mit hohem Tempo geht es schutzlos flussabwärts, streckenweise mit dem Rücken zur Fahrtrichtung. Totaler Kontrollverlust stellt sich ein.

Kein rettendes Land in Sicht – die steinigen Uferwände sind mehrere Meter hoch. Noch einige Minuten bleiben die Gekenterten Spielzeug des Wassers, ehe Paddel und Kanu eingeholt sind. Die zwei anderen Boote sind mit Glück gut durchgekommen. Beim Lagerfeuer am Abend lachen alle über die Schwimmeinlage, die auch mit Rippen- oder Schädelbruch hätte enden können. Die beiden nächsten Tage ist der Oranje ruhig, kleinere Stromschnellen ersparen ab und zu das Paddeln. Der erste Mensch nach 70 Kilometern ist ein Fischer mit Ruderboot. Links säumen mangrovenartige Bäume mit Reihern und Kormoranen auf knorrigen Ästen das Ufer, dahinter die kahlen Berge des Richtervelds. Am Ufer springen vorwitzige Grüne Meerkatzen entlang.

Hoffnung auf Hochkarätiges

Pause auf südafrikanischer Seite. Ian, der beim Diamantenkonzern CDM arbeitet, macht Hoffnungen, in der Flussbiegung Hochkarätiges zu finden. Vor Millionen Jahren legte Erosion die Diamanten frei, Flüsse im Einzugsbereich des Oranje nahmen sie auf. Nach einer halben Stunde endet die Suche ohne Fund, der Fluss ruft wieder.

Nach 90 Kilometern auf dem Wasser der erste Ort: Aussenkehr. Der Oranje touchiert erstmals seit dem Start die Autostraße. Die Swapo, die Namibia seit der Unabhängigkeit 1990 regiert, hat hier eine Farm errichtet. Ovambos aus dem dicht bevölkerten Norden des Vielvölkerstaats fanden hier Jobs. Die meisten leben in einfachen Stroh- und Lehmhütten. Im Gegensatz dazu stehen die reetgedeckten und klimatisierten Chalets einer Lodge. Ein vornehmes Resort hat sich am Flussufer niedergelassen, bietet Ausritte, Bergradtouren und auch Wildwasserkajakfahrten an.

Weiter flussabwärts ist die Idylle vorbei. Farmarbeiter schwingen an der Uferböschung die Axt – die Bäume enden als Brennholz. Erosion und Verschlammen des Oranje sind dadurch programmiert. Die Realität hat uns eingeholt.

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